Europäische Klima-Vorreiterrolle in der Krise

Windkraftanlage in Llanrwst, Wales

Die Europäische Union (EU) beansprucht seit langem eine Führungsrolle im weltweiten Klimaschutz und sieht sich als Vorreiter auf dem Weg hin zu einem kohlenstoffarmen Wirtschaftssystem. Die kontroverse Auseinandersetzung über die klima- und energiepolitischen Weichenstellungen der EU nach 2020 wird weitreichende Folgen für den globalen Kampf gegen den Klimawandel haben. Durch die Einflussnahme mächtiger Interessengruppen wächst jedoch die Gefahr, dass es zu einer Rolle rückwärts im europäischen Klimaschutz kommt.

Mit der Annahme des Klima- und Energiepakets im Jahr 2009 hat sich die EU zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent, einem Anteil Erneuerbarer Energien von 20 Prozent im Energiemix sowie einer Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis 2020 verpflichtet. Durch die sogenannten 20-20-20-Ziele wurden in den europäischen Mitgliedstaaten wichtige politische Weichenstellungen hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft vorgenommen. Auch wurden damit Standards für umweltpolitische Maßnahmen für andere Länder gesetzt.

Vor kurzem hat die Europäische Kommission die Debatte zur Klima- und Energiepolitik nach 2020 losgetreten; der Zeitpunkt also, zu dem der aktuelle politische Rahmen mit verbindlichen Zielen abläuft. Ein ehrgeiziges Klima- und Energiepaket für 2030 könnte den Klimaverhandlungen auf dem Weg hin zu einem internationalen Klimaabkommen im Jahr 2015 neuen Schwung verleihen. Zugleich sollte die EU endlich ihr Emissionsminderungsziel für 2020 erhöhen. Dass der Kampf gegen den Klimawandel von höchster politischer Priorität sein sollte und die Zeit dabei drängt, macht der kürzlich veröffentlichte Bericht des Weltklimarats (IPCC) noch einmal mehr erschreckend deutlich.

Zwei der drei kommenden Weltklimagipfel werden in Europa stattfinden (Warschau 2013 und Paris 2015). Zwar kann Europa nicht im Alleingang für ein ambitioniertes und gerechtes Klimaabkommen sorgen, sollte die EU den Klimakonferenzen allerdings nicht zu einem Erfolg verhelfen, wird der gesamte Prozess in eine große Krise stürzen oder sogar gleich ganz zusammenbrechen. Deshalb ist es geboten, dass die EU ihre Anstrengungen in der Klima- und Energiepolitik mit verbindlichen und ambitionierten 2030-Zielen unter Beweis stellt.

Forderungen nach einer „pragmatischen“ Energiepolitik und mächtiger Lobby-Einfluss

Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise steht die Glaubwürdigkeit der EU als Klimaschutz-Vorreiter jedoch vor der Nagelprobe. Die Befürworter von ehrgeizigen Zielen für Emissionsminderung, Erneuerbare Energien und Energieeffizienz nach 2020 sehen sich mit mächtigen Interessengruppen konfrontiert, was die europäische Vorreiterrolle beim Klimaschutz für lange Zeit auf Eis legen könnte.

Während der Ruf nach wirtschaftlichem Aufschwung und Wachstum die politische Tagesordnung in der EU beherrscht, wird mit dem Argument der Kosteneffizienz und Wettbewerbsfähigkeit Stimmung gegen dringend notwendige Initiativen für den Klimaschutz gemacht. Der einflussreiche Lobby-Verband BusinessEurope – der keineswegs für die gesamte europäische Unternehmenswelt spricht – unterstellt, dass eine Führungsrolle der EU im Klimaschutz schlecht für die europäische Wettbewerbsfähigkeit sei. Mit dieser Behauptung wurde auch der heftige Abwehrkampf dieses Jahr gegen das „Backloading“ geführt; eine Maßnahme, die durch die zeitweilige Verknappung der Emissionszertifikate den schwächelnden EU-Emissionshandel stabilisieren sollte. Ein extrem schwacher Kompromiss war die Folge.

Aufgrund der starken und wachsenden Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen könnte die EU ihre Pläne zu einer Dekarbonisierung des Energiesektors und einem Übergang zu einem kohlenstoffarmen Wirtschaftssystem schon bald aufgeben. Obwohl die polnische Regierung die nächste UN-Klimakonferenz ausrichten wird, stellt sie sich an die Spitze des Kampfs gegen eine ambitionierte europäische Klima- und Energiepolitik.

Verschiedene Akteure treten für eine sogenannte „pragmatische“ oder auch „technologieneutrale“ Herangehensweise ein. Demnach sollte es für 2030 nur noch ein Emissionsminderungsziel geben und keine Zielvorgaben mehr für Erneuerbare Energien oder für Energieeffizienz. BusinessEurope fordert stattdessen sogar Ziele für Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit. Nur eine Zielvorgabe zur Emissionsminderung wird aber nicht ausreichen, um einen erheblichen Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien und Investitionen zur Energieeinsparung zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr unter dem reformbedürftigen Emissionshandelssystem, das in seiner derzeitigen Form kein relevantes Preissignal aussendet.

Mit einer derartigen Herangehensweise würde darüber hinaus Atomkraft als kohlenstoffarme Energiequelle gefördert – dieses Motiv liegt auch hinter den Bestrebungen, dass Kernkraftwerke in der aktuell diskutierten Neufassung der EU-Beihilferegeln künftig Subventionen erhalten dürfen. Mit den Schlagwörtern "Technologieneutralität" und "Kosteneffizienz" versuchen Anhänger von Atomenergie und fossilen Brennstoffen den Übergang zu einer sauberen Energiezukunft in Europa zu verhindern.

Kein Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie und Neubelebung der europäischen Vorreiterrolle

Es wächst die Angst, dass Europa weder willens noch fähig ist, in der Klimadiplomatie voran zu gehen und dass die Verengung auf Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit auf Kosten der Nachhaltigkeit geht. Demgegenüber muss betont werden, dass die Argumente oft zu kurz greifen und Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit keine Zielkonflikte darstellen.

Ein höherer Anteil von Erneuerbaren Energien kann alle zentralen Energieziele der EU befördern: steigende Versorgungssicherheit zu niedrigeren Preisen, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sowie Förderung der Nachhaltigkeit. Der Weg zu einer kohlenstoffarmen Zukunft bietet eine Reihe wirtschaftlicher Chancen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, Innovationen, Technologieförderung und größere Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten. Die Energie- und Umweltminister/innen aus sechs deutschen Bundesländern hoben erst kürzlich in ihrer „Brüsseler Erklärung“ die Vorzüge einer gemeinsamen europäischen Energiewende für Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz hervor.

Auf dem Weg zum Klimagipfel in Paris im Jahr 2015 wird sich die Entscheidung der EU zum klima- und energiepolitischen Rahmen bis 2030 auf die Klimazusagen anderer Staaten weltweit auswirken. Gemäß einer weitverbreiteten Ansicht sollte Europa nicht alleine voran gehen und daher die Führungsrolle beim globalen Klimaschutz aufgeben. Dies lässt außer Betracht, dass andere Staaten derzeit klimapolitische Maßnahmen vorantreiben, wie etwa Emissionsgrenzen für Kraftwerke in den USA oder Pilotprogramme für einen chinesischen Emissionshandel.

Die europäischen Mitgliedsstaaten treffen sich im März 2014, um Klima- und Energieziele für 2030 zu diskutieren. Wenn es den europäischen Entscheidungsträger/innen ernst mit dem Kampf gegen den Klimawandel ist, müssen sie ein starkes Signal an andere Staaten aussenden, damit im Jahr 2015 ein ambitioniertes und gerechtes Klimaabkommen beschlossen wird.